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Arbeitsmaterial
RELIGLOBAL MATERIAL
Globales Lernen Frank Behr, Deutschland
Einleitung
Bildung im Sinne des Globalen Lernens als antirassistische und allgemein diskriminierungskritische Bildung birgt Chancen: Sie kann Türen hin zu einer gerechten Zukunft öffnen. Sie kann einen Beitrag zur Heilung historischer Brüche und Wunden leisten. Sie kann Räume des gemeinsamen Träumens, Suchens, Zweifelns und Versuchens gestalten. Sie kann Kindern und Jugendlichen ermöglichen, Selbstwirksamkeit zu erfahren, empowert zu werden, Lust am Lernen und aktiven Mitgestalten ihrer Welt – im Kleinen wie im Großen – wahrzunehmen.
Gutes Leben für alle?!
Mit dem Blick in die Zeitung, dem Querlesen der neuesten Tweets oder dem Anschauen der
Abendnachrichten gelingt es nur selten, die Hoffnung auf eine gerechte, nachhaltige Zukunft zu nähren. Im Gegenteil, die globalen und lokalen Krisen nehmen zu: Wirbelstürme oder Dürren zeugen von der globalen Klimakrise. Kriege und Verfolgung an vielen Orten der Welt verweisen allzu häufig auf globale geostrategische Interessen und eine globalisierte Ökonomie. Ungleicher Zugang zu
Impfstoffen gegen Covid-19 für Länder des Globalen Südens stehen für eine Fortschreibung von
internationalen Herrschaftsstrukturen, die bis in den Kolonialismus zurückreichen. Jede Fragestellung, im Prinzip jede LebenssituaAon der modernen Welt lässt sich nur auf dem Hintergrund der Globalität betrachten. Wie lässt sich angesichts dieser komplexen Krisen
Hoffnung entwickeln? Was braucht es, um ein gutes Leben für alle – im Sinne einer global solidarischen und ökologisch nachhaltigen Gesellschaft – zu erreichen? Wie entkommen wir den rundum präsenten Verwertungslogiken und Leistungsansprüchen?
Die Frage nach einem guten Leben für alle findet angesichts von Klimakrise, wachsender globaler
Ungleichheiten, Hassreden und gesellschaGlicher Polarisierung sowohl im öffentlichen Raum als auch im pädagogischen Kontext zu wenig Aufmerksamkeit.
Im alltäglichen Schulkontext in Deutschland und gerade auch in den Ländern des globalen Südens sind es jedoch gerade Themen rund um die eigene Lebensqualität, die die Schüler:innen bewegen.
In unserer Gesellschaft wird der Gedanke eines guten Lebens fast ausschließlich mit dem Bewerten und Vergleichen durch Noten und Leistungskontrollen in Zusammenhang gebracht, was oft mit den
Bedürfnissen der Schüler:innen und den Ansprüchen von Lehrer:innen an ihre pädagogische
Praxis nicht in Einklang zu bringen ist. Die Frage nach dem guten Leben ist jedoch ein mächtiger Wirkstoff für globale GerechAgkeit im Sinne des Globalen Lernens.
Globales Lernen und BNE
Globales Lernen als ein Strang der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) bietet als
pädagogischer Zugang vielfältige Ansatzpunkte für Veränderung. Ziel ist es, Teilnehmende in ihren
Reflexions- und Gestaltungskompetenzen zu stärken.
Erkennen, Bewerten und Handeln sind häufig die drei übergeordneten Kompetenzbereiche, die für ein aktives Mitgestalten einer gerechteren, nachhaltigeren, solidarischeren und friedlicheren
Gesellschaft als notwendig erachtet werden.
Das Mitgestalten einer gerechteren und nachhaltigeren ZukunG setzt voraus, sich mit
aktuellen gesellschaftlichen Schieflagen und Herausforderungen in all ihrer Komplexität
beschäftigen. Es gibt keine einfachen Antworten.
Deshalb muss auch Schule ein Ort sein, wo Schüler:innen die Möglichkeit haben, die
Herausforderungen der globalisierten Welt zu deuten und eine Handlungsperspektive zu entwickeln.
Bildung ist dabei selbst Teil der Verhältnisse – und muss deshalb auch die eigene Wertebasis
transparent machen, muss bereit sein, sich selbstkritisch und emanzipatorisch hinterfragen zu
lassen.
Globales Lernen und verantwortliches Handeln
Insofern zielt Globales Lernen auf gesellschaftliche Veränderung im Sinne globaler Gerechtigkeit und einer nachhaltigen Entwicklung ab. Ziel ist also eine Transformation auf verschiedenen Ebenen: Es geht darum, die bestehenden Verhältnisse und die eigene Posizionierung darin kritisch zu hinterfragen, miteinander über mögliche Alternativen zu reflektieren und nach Wegen zu suchen, individuell wie kollektiv Veränderungen auf den Weg zu bringen.
Für die pädagogische Praxis bedeutet dies mitunter, eine fehlerfreundliche Lernkultur zu gestalten, in der freiwillige und wertorientierte Lernprozesse möglich sind und durch die die vielseiAgen Fähigkeiten und Potenziale der Schüler:innen unterstützt werden. Der Lernprozess selbst, verstanden als individuelle und kollektive Praxis, ist das zentrale Moment von Globalem Lernen als transformativer Praxis.
Lernende und Lehrende
Globales Lernen als transformativer Lernprozess und machtkritische Praxis betrifft nicht nur Schüler:innen, sondern involviert Pädagog:innen auch selbst.Sich selbst sowohl als Teil der Lösung als auch als Teil des Problems zu verstehen, zählt zu den Kernansätzen eines Bildungsanspruchs, der den globalen Wandel hin zu nachhaltiger Entwicklung und globaler Gerechtigkeit – und damit auch zu den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen – in den Blick nimmt.
Welche Zukunftsfragen müssen wir für eine nachhaltige, global gerechte Welt stellen? Und
inwieweit können wir aktuell Antworten formulieren? Auf das übergreifende Thema bezogene
Fragestellungen orientieren sich inhaltlich an den Prozessen des globalen Wandels und der
Überschreitung der planetaren Grenzen und sind mit der Lebenswelt der Schüler:innen zu verknüpfen.
Kompetenzerwerb durch Globales Lernen
Herausforderung und Chance stellt dabei das Verständnis der Komplexität globaler
Zusammenhänge im Kontext der nachhaltigen Entwicklung in Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft dar, was ein Einüben von systemischem Denken erfordert. Schüler:innen in ihrer gesellschaftlichen, zukunftsorientierten Gestaltungskompetenz zu stärken setzt voraus, ihre Selbstwahrnehmung im Sinne eines „politischen Subjektes“ zu fördern. Da sie sich selbst häufig als Einzelperson zu klein, zu schwach und ohne ausreichenden gesellschaftlichen Einfluss wahrnehmen, sehen sich Schüler:innen selbst mitunter nicht imstande, zur Lösung globaler Probleme oder zur gesellschaftlichen Transformation beizutragen. Die Kernkompetenz,
Unterscheidung gesellschaGlicher Handlungsebenen im Kompetenzbereich Erkennen zu stärken, ist daher ein wichtiger Schrii auf dem Weg zur zentralen Handlungskompetenz und zur Entwicklung von
Resilienz.
Handlungsmöglichkeiten im Sinne der Kernkompetenzen Solidarität und Mitverantwortung,
Verständigung und Konfliktlösung sowie Partizipation und Mitgestaltung sollten vor Ort beginnen und auf die Transformation des eigenen Umfelds abzielen.
Reflexionsfragen können sein:
• Was ist meine Rolle im globalen Machtgefüge?
• An welchen Stellen kann ich mich für nachhaltige Entwicklungen und globale Gerechtigkeit
einsetzen?
• Was bin ich bereit, bei mir selbst zu verändern?
• Wie kann ich andere dafür sensibilisieren?
Globales Lernen im Prozess politischer Bildung
Schüler:innen sollen in ihrer zukunftsorientierten Kompetenz, Gesellschaft zu gestalten, gestärkt
werden. Hier greift der für die politische Bildung in Deutschland maßgeblich relevante
Beutelsbacher Konsens. Dieser ist auch für das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung /
Lernen in globalen Zusammenhängen bindend. Er besteht aus den drei Grundprinzipien:
1. Überwältigungsverbot (auch als Indoktrinationsverbot bezeichnet)
2. Kontroversitätsgebot
3. Schüler:innenorientierung.
Demnach ist es erstens nicht erlaubt, die Schülerinnen und Schüler – mit welchen Mitteln auch
immer – im Sinne erwünschter Meinungen zu überrumpeln und sie damit an der Gewinnung
eines selbstständigen Urteils zu hindern. Zudem sollen zweitens Themen, die in Wissenschaft und
Politik kontrovers diskutiert werden, auch im Unterricht kontrovers diskutiert werden. Eine
normative Grenze dessen, was in die Kontroversität einbezogen werden kann, geben Grundgesetz und Menschenrechtsprinzip vor.
Und drittens sollen „Schüler:innen in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und die
eigenen Interessenlage zu analysieren sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene
politische Lage im Sinne ihrer Interessen zu beeinflussen“.
Für das übergreifende Thema Nachhaltige Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen
ist weiterführend die Frankfurter Erklärung für eine kritisch-emanzipatorische Politsche Bildung eine
wichtige Ergänzung, da sie auf die Frage nach Machtverhältnissen verweist. Nachhaltige
Entwicklung / Lernen in globalen Zusammenhängen verlangt, Themen und Inhalte nicht als scheinbar wertneutrale InformaAonsvermittlung zu behandeln. Vielmehr gilt es, Handlungsräume zu identifizierenfizieren, um die Schüler:innen in die Lage zu versetzen, ökologische,
politische, ökonomische und soziale Problemlagen und Herausforderungen zu erkennen, zu bewerten und daraus Handlungsoptionen abzuleiten.
Viele Materialien und Angebote einer Bildung für nachhaltige Entwicklung mit besonderer
Berücksichtigung der globalen PerspekAve wählen den Weg der exemplarischen Darstellung globaler Zusammenhänge. Nicht selten erfolgt dies anhand eines klassischen Konsumprodukts oder einer spezifischen Problemlage (beispielsweise die Produktion und Lieferkeie einer Tafel Schokolade), deren Entstehung, gegenwärtige Ausprägung und mögliche Veränderungen aufgearbeitet werden. Hierbei ist es besonders wichtig, auch über den Fairen Handel hinaus politische Verbindungen zur Realität in der Schule und entsprechende politische Handlungsräume anzusprechen.
Perspektivwechsel durch Stimmen aus dem Globalen Süden
Um eigene Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen, sind Perspektiven aus dem Globalen Süden und der Diaspora ein hilfreicher Ankerpunkt:
• Was denken Menschen aus dem Globalen Süden über die diskutierten Fragestellungen?
• Wie gestalten sie Gesellschaft auf nachhaltige Weise?
• Was können wir von ihnen lernen?
Dieser Perspektivwechsel ist notwendig, um die Kernkompetenzen von Solidarität und
Mitverantwortung zukunftsfähig umsetzen zu können. Originalstimmen (Zitate) von Menschen aus
dem Globalen Süden nehmen außerdem eine wichtige Rolle ein, wenn es um die Kernkompetenz
Informationsbeschaffung und -verarbeitung geht. Denn für eine ausgewogene Informationslage ist
es unerlässlich, dass Menschen aus dem Globalen Süden selbst zu Wort kommen.
Globales Lernen und Religionsunterricht
Sowohl viele Inhalte als auch die im Zusammenhang des Globalen Lernens zu erwerbende Kompetenzen sind auch integraler Bestandteil des konfessionell geprägten Religionsunterrichtes. Auch wenn das Konzept des Globalen Lernens im Sinne einer Querschnittsaufgabe alle Fächer des schulischen Kanons betrifft, gibt es dennoch einen besonderen Konnex zum Religionsunterricht.
Inhaltlich sind die Fragen nach Schöpfung und Schöpfungsbewahrung sowie eschatologische Fragen nach der Zukunft von Gottes Geschöpfen und der Schöpfung grundlegend für den Religionsunterricht. Aber auch Fragen von Schuld und Vergebung, von Leben und Tod und von Frieden und Gerechtigkeit angesichts von Jesu Reich-Goies-BotschaG spielen
eine wichtige Rolle.
Der angestrebte Kompetenzerwerb, wie er z.B. in den Leitlinien für BNE in Nordrhein-West-falen formuliert wird, lässt sich ebenso in hervorragender Weise mit den Zielen des Religionsunterricht verknüpfen.
Ziele sind:
• die Wirklichkeit differenziert wahrnehmen zu
können,
• der Frage nach dem Sinn menschlicher Existenz
nachzugehen,
• ein verantwortungsbewusstes und tolerantes
Leben zu fördern,
• einen Beitrag zur Ausbildung einer Fähigkeit zu
mehrperspekAvischem Denken zu leisten,
• begründet Urteile bilden zu können und
verantwortlich zu handeln,
• Verständnis zu zeigen für weltanschauliche,
religiöse und ideengeschichtliche PosiAonen,
• interkulturelle und intrakulturelle Toleranz
einzuüben.
orientiert an: Carpus e.V. Globales Lernen – Inspirationen für den transformativen Unterricht,
2021 & Handreichung
Nachhaltige Entwicklung in Globalen Zusammenhängen, LISUM Berlin-Brandenburg 2023
https://www.wbv.de/shop/Globales-Lernen-6004865
Pfarrer Frank Behr ist Schulreferent der Evangelischen Kirchenkreise Hahngen-Wiien und Schwelm