zu Schritt 1 Erkennen:
biblischer Bezug, Anforderungssituation, Öffentliche Theologie

„Suchet der Stadt Bestes“, so lautet die Kurzform der Aufforderung, wie sie auf einer der Glocken der durch bürgerschaftliches Engagement auf Spendenbasis wiederaufgebauten Dresdner Frauenkirche zu lesen ist. Und weiter: „Betet für sie zum Herrn! Denn geht es ihr gut, wird es auch euch gut gehen. Und ihr werdet in Frieden leben.“ Mit diesen Worten des Propheten Jeremia (29,7) ist ein Programm aus biblisch-theologischer und religiöser Sicht formuliert für die Mitverantwortung für das Gemeinwesen, für Staat und Zivilgesellschaft.

Im 6. Jahrhundert v. Chr. eroberten die Truppen des babylonischen Königs Nebukadnezzar II. das Südreich Juda. In den Jahren 597 und 587 v. Chr. ließ er zwei Mal die Oberschicht nach Babylonien deportieren (2. Könige 24,14-16). Um die eroberten Provinzen zu schwächen, verfolgten Herrscher im Alten Orient immer wieder diese Strategie des Austausches der (intellektuellen) Oberschichten (Priester, Kaufleute, Handwerker) der verschiedenen Provinzen untereinander. Damit wurden effektiv die Kreise aus dem Weg geräumt, die einen Aufstand hätten anzetteln können.

Das babylonische Exil bildete in der Geschichte Israels einen schmerzhaften Tiefpunkt für die Gläubigen, da alle bisherigen äußeren Fundamente des Volkes Israel (Tempel und Königtum) verloren gingen.

Die Verbannten konnten in relativ selbständigen Siedlungen am Kanal Kebar nördlich von Babylon wohnen (vgl. Ezechiel 3,15). Dennoch waren sie gezwungen in einer aus ihrer Sicht heidnischen Umgebung zu leben. In dieser Situation fragten sie, wie sie verhalten sollten, zumal eine baldige Rückkehr in die Heimat unwahrscheinlich erschien. Der Prophet Jeremia schreibt daher einen Brief, in dem er u.a. darauf hinwirken will, dass die Weggeführten einerseits treu zu Jahwe, dem einen und einzigen Gott, stehen (also nicht dem in Babylonien üblichen Polytheismus verfallen), andererseits sich in dieser Umgebung einrichten, engagieren durch Tat und Gebet (also zivilgesellschaftlich handeln).

Den Einstieg in (und den Rahmen für) das Unterrichtsvorhaben bildet am besten eine Anforderungssituation mit einem möglichst aktuellen gesellschaftspolitischen Bezug. Anfang 2024, zum Zeitpunkt der Erstellung des Unterrichtsmaterials, stellt das die Auseinandersetzung mit dem auch in Deutschland erstarkten Rechtspopulismus und -extremismus dar. In vielen Städten gehen Menschen aus der Zivilgesellschaft (später unterstützt von politisch Verantwortlichen) in Demonstrationen auf die Straßen der Bundesrepublik, um für Vielfalt und die Erhaltung der Demokratie ein Zeichen zu setzen.

Lena Müller, eine Pfarrerin aus Berlin-Neukölln, hat gemeinsam mit drei weiteren jungen Theolog:innen eine sehr erfolgreiche Kampagne #pfarrpersonengegenrechts auf Instagram initiiert, bei der Pfarrer:innen und kurze Zeit später alle Christ:innen aufgefordert wurden, Stellung gegen rechts, gegen die Aushöhlung demokratischer Freiheits- und Grundrechte, zu beziehen.

Die Anforderungssituation nimmt diese Kampagne auf und zielt auf eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob, wie und inwieweit, initiiert durch die Schüler:innenvertetung, Lehrkräfte und Schüler:innen einer Schule „Gesicht zeigen“ sollen gegen rechts.

Vertiefend werden dann auf konkrete Situationen bezogene Interpretationen von Jeremia 29,7 in den Blick (Rede Hans-Josef Vogel/Predigt Christian Kopp) genommen, sowie die Verhältnisbestimmung von Kirche und Staat/Gesellschaft (bzw. Religion und Politik) anhand des Konzeptes der „Öffentlichen Theologie“ von Heinrich Bedford-Strohm erschlossen. Zu klären bleibt im nächsten Schritt die Frage, wie Theologie „öffentlich“ wird. Hier können öffentliche Äußerungen von Theolog:innen und/oder Kirche in den Blick kommen, z. B. durch Wiederaufnahme der Anforderungssituation #pfarrpersonengegenrechts, des Thesenanschlags Martin Luthers an das schwarze Brett der Universität Wittenberg an der dortigen Schloßkirche oder aktuelle Äußerungen aus dem Bereich der Kirche(n) zu gesamtgesellschaftlich relevanten Fragestellungen. Ebenfalls möglich ist eine Verknüpfung mit einer zuvor (theologisch-kirchengeschichtlich orientierten) im Unterricht vorgenommenen Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Kirche und Staat (Röm 13; Zwei-Regimentenlehre; Kirche zwischen Anpassung und Widerstand). 

zu Schritt 2 Begreifen
Rolle der Zivilgesellschaft – shrinking space – beispielhaftes Handeln junger Menschen in der Zivilgesellschaft

Die Zivilgesellschaft umfasst den Bereich innerhalb der Gesellschaft, der zwischen dem staatlichen, dem wirtschaftlichen und dem privaten Sektor angesiedelt ist, zum Beispiel in Vereinen, Verbänden und vielfältigen Formen von Initiativen und sozialen Bewegungen. Auch die Kirchen und Religionsgemeinschaften gehören konstitutiv in diesen Sektor. Zivilgesellschaftliche Aktivitäten sind nicht profitorientiert und nicht abhängig von parteipolitischen Interessen. Viele Politikwissenschaftler beschreiben die Zivilgesellschaft als Komponente, die neben dem Staat und wirtschaftlich handelnden Akteuren notwendig ist, um eine ideale pluralistische Gesellschaft von engagierten Bürgern zu schaffen und demokratische Strukturen zu fördern.

In Deutschland und weiten Teilen Europas wird dieses Engagement aus der Mitte der Gesellschaft positiv bewertet und teilweise in erheblichem Maße unterstützt. Nicht nur, aber in großem Umfang sind z.B. die sozialdiakonischen Aktivitäten von Kirchen und Religionsgemeinschaften sogar konstitutiv für das Funktionieren des Sozialstaates (Subsidiaritätsprinzip). Anders sieht es z.B. aus, wenn aus der Zivilgesellschaft heraus, erhebliche Kritik an politischen Prozessen und Entscheidungen geübt wird. Auch in demokratischen Staaten wird dann immer wieder der Handlungsspielraum von zivilgesellschaftlichen Akteuren eingeschränkt. In nicht demokratischen politischen Systemen wird die Zivilgesellschaft nicht selten als Opposition begriffen und ihre Handlungsmöglichkeiten stark beschnitten oder sogar unmöglich gemacht. Dafür hat sich der Fachbegriff “shrinking space” etabliert.

Ggf. unter Bezugnahme auf Unterrichtsinhalte aus dem sozialwissenschaftlichen oder Politikunterricht setzen sich die Schüler:innen mit der Rolle, Bedeutung und Gefährdung der Zivilgesellschaft auseinander und lernen an konkreten Beispielen zivilgesellschaftliches Engagement von Menschen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher gesellschaftlicher Herkunft exemplarisch kennen. Dabei ist darauf zu achten, dass es sich (zumindest auch) um ganz “normale” Menschen handelt. Die in Unterrichtsmaterialien häufig vorzufindenden “Heiligen” aus der Kirche (Dietrich Bonhoeffer) oder der Zivilgesellschaft (Mahatma Ghandi) mögen als grundsätzliche Orientierungspunkte im Leben dienen, mit dem Alltag der Schüler:innen, bzw. mit den sich ihnen stellenden gesellschaftspolitischen und historischen Situationen oder Handlungsoptionen haben sie häufig nur wenig zu tun. “Lokale Helden”, “Helden des Alltags” sind für das biografische Lernen und die Vorbildorientierung daher zu bevorzugen.

zu Schritt 3 Handeln:
zivilgesellschaftliche Handlungsoptionen für Schüler:innen – Erarbeitung und Diskussion von Aktionsformen – Kompetenzsicherung (Anforderungssituation)

Um Schüler:innen zu eigenverantwortlichem Handeln, auch aus ihrem Glauben heraus, in der Zivilgesellschaft anzuregen, ist eine Auseinandersetzung mit der allgemeinen gesellschaftlichen und speziell der zivilgesellschaftlichen Situation, in der sie leben, unabdingbar. Dazu gehört das Kennen(lernen) von Handlungsmöglichkeiten und deren Chancen und Gefahren bzw. die Erörterung von Vor- und Nachteilen.

Weimar, 16.9.2023. Youthtopia, die Jugendorganisation von Brot für die Welt hat ihr jährliches Treffen in Weimar. Es finden verschiedene Workshops statt und eine Straßenaktion zu Menschenrechten und Umweltschutz in Lieferketten auf dem Theaterplatz im Stadtzentrum. © Nancy Heusel/ Brot für die Welt

Das Unterrichtsvorhaben abschließend wird die Anforderungssituation vom Beginn nochmals explizit in den Blick genommen und eine begründete Position zur Frage der Beteiligung von Lehrkräften und Schülervertreter:innen an einer öffentlichkeitswirksamen Aktion der gesamten Schule gegen Rechtspopulismus und -extremismus entwickelt. Dazu dient eine von den Schüler:innen vorbereitete und durchgeführte Debatte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert